Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt
Die Leipzig Charta von 2007
2007 verabschiedeten die europäischen Minister für Stadtentwicklung und Raumordnung in Leipzig die "Leipzig Charta für eine nachhaltige europäische Stadt". Ziel der Leipzig Charta 2007 war es, als wesentlichen Handlungsansatz eine integrierte, gesamtstädtische Stadtentwicklung zu verankern, um die europäische Stadt zu stärken und weiter zu entwickeln. Ein besonderer Fokus lag zudem auf Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf.
Nach Jahren der Schrumpfung in den 1990er Jahren hat Leipzig einen grundlegenden Wandel durchlaufen - hin zu einem dynamischen Wachstum von Bevölkerung und Wirtschaft und hin zu einer Stadt mit sehr hoher Lebensqualität. Strategische Stadtentwicklung und eine engagierte Zivilgesellschaft waren Schlüsselfaktoren für die erfolgreiche Entwicklung.
Die Stadt Leipzig setzt sich, gemeinsam mit Zivilgesellschaft, Akteure und Politikern, für eine nachhaltige und zukunftssichere Entwicklung nach den Grundsätzen der "Leipziger Charta" ein: mit integrierten, strategischen Stadtentwicklungsprozessen und einem ortsbezogenen Ansatz, der Stärken unterstützt und Herausforderungen auf Nachbarschaftsebene angeht.
Es ist daher eine große Ehre, dass die Charta nach unserer Stadt benannt und in Leipzig unterzeichnet wurde.
Video Leipzigs Stadtentwicklung
Leipzig lebt die Leipzig Charta: Der Film über Leipzigs Stadtentwicklung zeigt Entwicklungen und Strategien von 1990 bis heute
Menschenmenge: Wir sind das Volk! Wir sind das Volk! Wir sind das Volk!
Burkhard Jung: Also die 90er Jahre waren schon wirklich schwierig.
Karsten Gerkens: Es war so, dass 75 Prozent der Wohnungsbestände desolat waren und repariert werden mussten.
Bürgerin: Da müssten ganz schnell, also am besten ab morgen, Maßnahmen gefunden werden, um die Häuser, die noch stehen wenigstens zu erhalten.
Stefan Heinig:Direkt nach der Wende standen große Investitionen im Mittelpunkt, um damit eine Entwicklung in der Stadt anzuschieben, die auch sehr wichtig war.
Engelbert Lütke Daldrup: Dreiviertel unserer alten Häuser sind in Ordnung gebracht. Die Hälfte unserer Großsiedlungen sind saniert.
Stefan Heinig: Aber auf der anderen Seite dazu geführt hat, dass bei gleichzeitigem Einwohnerrückgang und Verlust der Arbeitsplätze, Leerstände entstanden sind. Das war ein wesentlicher Ausgangspunkt, um darüber zu reden, ob man in der Stadtentwicklung nicht anders agieren muss.
Es ging darum, ein Stadtentwicklungskonzept zu haben, was sich mit der Situation auseinandersetzt und differenziert in den einzelnen Stadtteilen unterschiedliche Strategien entwickelt.
Wir haben einerseits die nutzungsgemischte Stadt der kurzen Wege weiterentwickelt. Zum anderen haben wir die Menschen einbezogen, Freiräume eröffnet, um eigene Ideen zu realisieren und diese mit unterstützt.
Bürger:Wir haben aktiv alle mitgearbeitet. Und ich muss sagen, das ist wirklich das geworden, was wir uns vorgestellt haben.
Siegfried Schlegel: Bürgerbeteiligung hat in Leipzig schon eine jahrzehntelange Tradition.
Karsten Gerkens: Das waren freie Architekten - das waren alle möglichen Leute, die im Prinzip Ideen entwickelt haben. Zum Beispiel dieses ganze Thema der Zwischennutzung - Wächterhäuser und diese ganzen Dinge.
Fritjof Mothes: Offen sein für Neues, offen sein für Experimente. Nicht zu glauben, dass es keine Lösung gibt.
Stefan Heinig: Ein wichtiger Punkt ist das Fokussieren des Stadtentwicklungsprozesses auf bestimmte Schwerpunkträume, also auf Stadtteile, die einen besonderen Entwicklungsbedarf haben. Und dort setzt dann das Handeln an, welches ein Quartiersmanagement etabliert.
Paula Hofmann:Die Ziele des Quartiersmanagements sind vordergründig die Stärkung der Akteure, die hier vor Ort sind sowie die Verbesserung der Wohnqualität und der Lebensqualität der Menschen hier vor Ort.
Caroline Jonigkeit: Ich arbeite für den Querbeet Leipzig e.V. Das ist ein Gemeinschaftsgartenprojekt. Das stärkt den Zusammenhalt im Viertel und die Menschen können aktiv Teil haben. Sie lernen ihre eigene Nachbarschaft, ihre Umwelt und die Gesellschaft zu gestalten.
Thomas Dienberg: Da hat Leipzig immer neue Formate ausprobiert und war im Grunde auch Vorbild für andere Städte.
Pressestimme: Der Bauabschnitt des Stadtteilparks Rabet ist beendet. Damit ist eine weitere Etappe zur Erneuerung des Leipziger Ostens abgeschlossen.
Siegfried Schlegel: Dass diese europäische Charta den Namen "Leipzig Charta" 2007 erhalten hat, hat mit Sicherheit viel damit zu tun, dass wir Stadtentwicklung immer als Ganzes begriffen haben.
Burkhard Jung: Wir haben die großen Ansiedelungen versucht zu stimulieren, in dem wir die Messe und den Flughafen im Norden der Stadt etablierten - Gekoppelt mit der Kreativszene, gekoppelt mit der Biotech- und der Medizinszene - so dass insgesamt eine Situation des stimulierenden Miteinanders entstand, wo Menschen angelockt wurden, weil es wieder Arbeit gab. So war es in den 2000ern genau eine umgekehrte Situation. Nach 100 000 Einwohner Verlust, haben wir innerhalb von 10 Jahren 100 000 Menschen gewonnen und jetzt haben wir die Themen auf dem Tisch, die natürlich große Städte, die sehr stark wachsen, haben: Wachstumsschmerzen nenne ich das.
Stefan Heinig: Ein zentrales Thema der letzten Jahre war das Thema der Bildungsinfrastruktur.
Die Zahl der Geburten hat sich in Leipzig zwischen 1995 und heute fast verdreifacht. Entsprechend viele Kindertagesstätten und Schulen mussten neu gebaut werden.
Das Thema Wohnen haben wir über die Jahre in ganz unterschiedlichen Facetten aufgegriffen. Angefangen vom Stadtumbau und Umgang mit dem Leerstand, über kreative Ansätze Gebäude zu erhalten, bis hin zur Anpassung an den demographischen Wandel - also das altenfreundliche und altersgerechte Wohnen.
Thomas Dienberg: Wie geht man jetzt mit diesem unheimlichen Tempo, dem Druck auf den Immobilienmarkt um? Es gibt jetzt Themen wie soziale Gerechtigkeit, bezahlbares Wohnen, aber auch eine gute Quartiersentwicklung vor Ort.
Caroline Jonigkeit: Aktuell ist diese Flächensicherung wichtig für Projekte, die grüne oder Experimentierräume brauchen. Es geht darum diese Flächen, die es jetzt noch gibt, und das sind nicht mehr viele, zu sichern.
Stefan Heinig: Wege zu finden, wie ökonomisch, ökologisch und soziale Interessen miteinander abgeglichen werden können und eine Stadt entwickelt werden kann, die auch noch für unsere Kinder und Enkel da ist, das ist die zentrale Herausforderung.
Burkhard Jung: Das heißt, wir sind der Energiewende verpflichtet, wir sind der Verkehrswende verpflichtet, wir sind der Produktionswende verpflichtet, wir sind der Suffizienz verpflichtet und vielleicht auch dem Konsumverhalten, was sich ändern muss. Das sind die Themen der Zukunft und wir tun gut daran, das eine mit dem anderen zu koppeln, wohlwissend wie schwierig das wird.
Stefan Heinig: Für mich ist die Leipzig Charta ein wesentlicher Baustein zur Gestaltung einer resilienten Stadt. Insofern ist das integrierte Agieren, aber auch die Orientierung am Gemeinwohl in der Stadt, die die neue Leipzig Charta bringen wird, ein wesentlicher Faktor.
Oliver Weigel: Wenn ich mit einem Satz zusammenfassen soll, was die neue Leipzig Charta besonders auszeichnet, dann ist es, dass sie nicht nur sagt, welche Aufgaben Städte zu bewältigen haben, sondern, dass sie auch sagt, was sie dafür benötigen und die Staaten sich dazu bekennen, den Städten diese Mittel zur Verfügung zu stellen.
Burkhard Jung: Wir sind froh auf nationaler und internationaler Ebene als städtische Gemeinschaft gehört zu werden und unsere Probleme und Herausforderungen der Zukunft zu meistern.
Stefan Heinig: Es ist gut zu sehen, dass auch nach 10 Jahren Dinge sichtbar werden, für die man die Weichen gestellt hat.
Karsten Gerkens: Man kann durch die Stadt gehen und hat hunderttausend Stellen, wo man sagen kann: "Da waren wir dran beteiligt."
Burkhard Jung: Leipzig ist Sinnbild der europäisch gewachsenen Stadt.
Stefan Heinig: Stadtentwicklung ist immer eine Gemeinschaftsaufgabe, da haben ganz viele einen Anteil dran.
Burkhard Jung: Ja wir sind wirklich stolz, dass das Stadtentwicklungspapier Europas den Namen Leipzig trägt.
Veränderte Herausforderungen
Im letzten Jahrzehnt haben globale Veränderungen die lokale Situation in Städten auf der ganzen Welt stark beeinflusst: Klimawandel, Migrationsströme, Diversifizierung der Gesellschaft und zunehmende sozioökonomische Ungleichheiten sowie eine zunehmende Digitalisierung. Die Weltgemeinschaft hat auf diese Herausforderungen mit den "Zielen für eine nachhaltige Entwicklung" im Rahmen der "Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung" oder der "Neuen urbanen Agenda" (PDF, 6,08 MB) der Vereinten Nationen reagiert. Die EU hat zudem ihre strategischen Ziele im Rahmen der "Europäischen Nachhaltigkeitsstrategie" und unter besonderer Berücksichtigung des städtischen Kontextes im Rahmen der "Städteagenda für die EU / Pakt von Amsterdam" festgehalten.
Was ist anders an der Neuen Leipzig Charta
Vor diesem Hintergrund wurde die Leipzig Charta 2017 evaluiert und bis 2020 unter Federführung des Bundesministeriums für Inneres, Bau und Heimat überarbeitet. Die Entwicklung der neuen Version wurde durch einen breiten nationalen und europäischen Dialogprozess unterstützt. Gemeinsam mit anderen deutschen Städten brachte die Stadt Leipzig ihre Erfahrungen aktiv in den nationalen Diskussionsprozess ein.
Im Ergebnis des Überarbeitungsprozesses entstanden mit der "Neuen Leipzig-Charta" (voller Titel "New Leipzig Charta - The transformative power of cities for the common good") ambitionierte Leitlinien für eine integrierte Stadtentwicklungspolitik europäischer Städte. Sie räumt dem öffentlichen und gesellschaftlichen Handeln, das dem Gemeinwohl verpflichtet ist, eine besondere Bedeutung ein.
Die Neue Leipzig-Charta formuliert für die Städte drei inhaltliche Dimensionen ihres Handelns: die "grüne Stadt", die "gerechte Stadt" und die "produktive Stadt".
Um diesen inhaltlichen Herausforderungen und Zielen begegnen zu können, werden - ähnlich der Charta von 2007 - wesentliche Kernprinzipien verantwortungsbewusster Stadtentwicklung benannt:
- Stadtentwicklung mit Gemeinwohlorientierung,
- Integriertes Arbeiten und Handeln,
- Beteiligung und Co-Creation,
- Mehr-Ebenen-Kooperation und
- adäquate ortsbezogene Betrachtungs- und Lösungsansätze (auf Quartiers-, gesamtstädtischer oder regionaler Ebene).
Auf städtischer Ebene werden zahlreiche europäische und nationale Ziele (zum Beispiel sozialer Zusammenhalt, Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel) tatsächlich umgesetzt. Städte sind sich dieser Verantwortung bewusst, benötigen jedoch angemessene Rahmenbedingungen, um dies auch langfristig tun zu können. Dies greift die neue Leipzig Charta auf und benennt, wie die Handlungskompetenzen der Kommunen gestärkt werden können. Das bedeutet unter anderem veränderte Gesetzgebungen, Förderungen sowie politische Unterstützung sowohl auf europäischer, nationaler und Landesebene.
Die "Neue Leipzig Charta" wurde am 30. November 2020 auf dem informellen Treffen der EU-Minister für Stadtentwicklung und Raumordnung während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft unterzeichnet.
Was bedeutet die Neue Leipzig Charta für Leipzig
Die Stadt Leipzig begrüßt die Fortschreibung der Leipzig Charta. Viele der genannten Themen sind in den strategischen Zielen der Stadt Leipzig als Handlungsaufträge enthalten. Die Kernprinzipien, wie integriertes Arbeiten, Bürger- und Akteursbeteiligung oder ortsbezogene Handlungsansätze, sind vor allem über das Integrierte Stadtentwicklungskonzept verankert.
Die aktuelle Pandemiesituation zeigt aufs Neue, wie wichtig eine Gemeinwohlorientierung des städtischen Handelns, für die Versorgung über kommunale Infrastrukturen und Dienstleistungen für eine krisensichere Stadtentwicklung ist.
Städte sollten an Entscheidungsfindungsprozessen auf allen Ebenen beteiligt werden, um sich für günstige Rahmenbedingungen und Spielräume für das kommunale Handeln einsetzen zu können. Mit ihrem Engagement, zum Beispiel in den Gremien des Deutschen Städtetages oder über das europäische Städtenetzwerk EUROCITIES, versucht die Stadt Leipzig ihren Beitrag zu leisten.
Natürlich gilt es, auf allen Ebenen die Leitlinien und Prinzipien jeden Tag wieder neu zu beleben, Handlungsweisen zu hinterfragen und weiterzuentwickeln! Eine gute Gelegenheit hierfür wird für die Stadt Leipzig die Evaluierung des Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes "Leipzig 2030" ab 2021 sein.